Das Kind als Träger der werdenden Gesellschaft
Kurt Löwenstein wurde 1923 die treibende Kraft der Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde Deutschlands. In nicht einmal 10 Jahren entwickelten sich die Kinderfreunde zur größten Kinderbewegung weltweit.
1932, ein Jahr vor dem Verbot durch die Nationalsozialisten, organisierten sie rund 120.000 Kinder, 60.000 Eltern und etwa 10.000 ehrenamtliche Helfer in 1.100 Ortsgruppen.
Ein wichtiges Element der Kinderfreunde-Praxis waren die sogenannten »Kinderrepubliken«. An diesen großen, meist vierwöchigen Zeltlagern nahmen tausende Kinder teil. Der Name war dabei Programm. »Alle Staatsgewalt geht vom Kinde aus«, hieß es in deren Statut. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer, ungeachtet ob erwachsene Helfer oder Kinder, waren hier gleichberechtigt, das Zeltlagerleben wurde selbstbestimmt. Die einzelnen Zeltdörfer wählten ihre Vertreter ins Lagerparlament, in dem alle (!) relevanten Entscheidungen der Kinderrepublik demokratisch getroffen wurden. In der Kinderrepublik übten die Kinder über parlamentarische Strukturen echte Entscheidungsmacht aus. Eines der teilnehmenden Kinder der ersten Kinderrepublik, die 1923 in Seekamp bei Kiel stattfand, war der spätere Bundeskanzler Willy Brandt. So ist es vielleicht kein Zufall, dass Brandt als Regierungschef das Motto »mehr Demokratie wagen« in den Mittelpunkt seiner Politik stellte.